Häufig erhalte ich Presseanfragen zum Thema: Was sind Gefahren von sozialen Medien? Jüngst bekam ich eine E-Mail einer Schülerin, die mir für Ihre Seminararbeit hierzu neun konkrete Fragen gestellt hat, mit einem Fokus auf Kinder und Jugendliche. Mit ihrer Erlaubnis darf ich hier ihre Fragen und meine Antworten wiedergeben.
Ich beziehe mich dabei sowohl auf konkrete Publikationen, die ich weiter unten anführe. Ebenso greife ich aber auch auf eigene persönliche Eindrücke, Beobachtungen und Ergebnisse zurück, die ich im Laufe der letzten Jahre angesammelt habe.
Was sind Gefahren von sozialen Medien? Und was Chancen?
1. Welche positiven bzw. negativen Auswirkungen hat die Nutzung sozialer Medien auf die Entwicklungsaufgaben in Kindheit und Jugend? Insbesondere auf: die Identitätsentwicklung, soziale Kompetenzen, die physische und psychische Entwicklung, Kreativität und Bildung?
Identitätsentwicklung: Positiv ist, dass auf sozialen Medien unterschiedliche Dinge, Ansichten und Eigenschaften ausprobiert werden können. Negativ ist, dass hierfür – noch stärker als sonst – Vergleiche mit anderen vorgenommen werden.
Sozialkompetenzen: Positiv ist, dass hier zeitgemäße soziale Umgangsformen erlernt werden. Soziale Mediennutzung steht im Zusammenhang mit mehr Sozialkapital und sozialen Ressourcen. Negativ ist, dass vor allem für einen Anteil Jugendlicher nun physische Offline-Aktivitäten seltener werden können.
Regelmäßige physische Aktivität ist wichtige Grundlage für psychisches Wohlbefinden. Eine starke soziale Medien-Nutzung bei gleichzeitig hoher physischer Aktivität ist freilich möglich. In Einzelfällen gelingt dies aber nicht mehr, und ein Mehr an physischer Aktivität sollte eingeübt werden.
Soziale Medien bieten eine Fülle an Möglichkeiten, kreativ tätig zu werden. Viele Jugendliche nutzen dies bereits aus. Ebenso ist eine Vielzahl an neuen Berufen nun im digitalen Bereich entstanden, und die Nutzung von Social Media und eine Digitalexpertise sind hier Voraussetzung. Nachteilige Effekte auf allgemeine Kreativität sind mir nicht bekannt.
Ein Übermaß an Nutzung von Sozialen Medien kann die schulische Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, entsprechend sind Obergrenzen und Freiräume zur schulischen Ausbildung und Entwicklung wichtig.
2. Welche sozialen Medien haben positive bzw. welche haben negative Einflüsse auf die Entwicklung in Kindheit und Jugend?
Dies lässt sich so nicht pauschal für soziale Medien unterscheiden. Es kommt sehr auf die Art der Nutzung und die Nutzer:innen selbst an. Vor allem für bereits benachteiligte Menschen können Social Media eher schädlich sein; für gut eingebettete, proaktive und selbstbewusste Menschen dagegen förderlich.
3. Bezüglich welcher Bereiche könnte die Nutzung sozialer Medien förderlich sein?
In Bezug auf die Gewinnung von Sozialkapital, um im Austausch mit Freunden und Bekannten zu sein. Ebenso zur Informationsgewinnung in sämtlichen Bereichen.
4. Fänden Sie es hinsichtlich der Entwicklungsaufgaben sinnvoll, Kindern und Jugendlichen in der Schule Fächer anzubieten, in denen sie richtige Mediennutzung bzw. Medienkompetenz erlernen?
Grundsätzlich ja. Gleichzeitig besteht das Problem der fehlenden Expertise bei Ausbilder:innen. Gerade ältere Nutzer:innen haben im Durchschnitt geringere Digitalkompetenzen als jüngere. Aber es empfiehlt sich durchaus, dies in den Bildungsplan zu integrieren.
5. Wie wirkt sich die Nutzung sozialer Medien durch die Eltern auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen aus?
Eltern haben ganz grundsätzlich Vorbildcharakter. Wenn Eltern selbst zu viel Social Media nutzen, ist es unauthentisch und problematisch, dies bei den Kindern einzufordern. Es sollten Regeln gemeinsam etabliert und auch eingehalten werden. Gleichzeitig können Eltern auch vorleben, dass soziale Medien nun Teil der Welt sind, und es vor allem auf eine gute und angemessene Nutzung ankommt.
6. Was ist die größte Gefahr, die von sozialen Medien ausgeht, wenn es um die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben in Kindheit und Jugend geht?
Das für einen geringen Teil der Nutzer:innen die Attraktivität der Angebote so hoch ist, dass sie nicht mehr anderen Anforderungen nachkommen können, die aber wichtig für die eigene Entwicklung sind.
7. Wie können negative Auswirkungen der sozialen Medien auf die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben vermieden bzw. verringert werden?
Bewusstes Auswählen von Inhalten (wem folge ich?), setzen von Obergrenzen (bspw. nicht mehr als zwei Stunden am Tag, nicht während des gemeinsamen Essens), setzen von Alternativtätigkeiten (Sport, Spiel, Ausflüge, Lesen).
8. Sollte der Konsum sozialer Medien von den Eltern eingeschränkt oder kontrolliert werden?
Er sollte supervidiert werden. Aber auch hoher und intensiver Konsum kann in einem funktionalen und gesunden Setting stattfinden. Aber spätestens sobald Probleme entstehen oder der Konsum exzessiv wird, sollte eine kritische Diskussion und Moderation erfolgen.
9. Finden Sie, soziale Medien haben insgesamt eher einen positiven oder einen negativen Einfluss auf die Entwicklungsaufgaben?
Forschungsüberblicke zeigen, dass die Effekte insgesamt zwar eher klein bis sehr klein ist, aber in den meisten Bereichen doch eher im negativen Bereich. Sprich, eine gewisse Vorsicht und Aufmerksamkeit sollte geboten sein. Grund für Alarmismus oder übertriebene Sorge sehe ich aber nicht.
Wer mehr zum Thema erfahren möchte, kann hier weiterlesen:
- Wie wirken Medien ganz allgemein? Link zu meiner Vorlesung
- Wie beeinflussen soziale Medien die Entwicklung von Jugendlichen? Ein Fachgutachten.
- Wie gefährlich sind Social Media? Ein Kommentar.
Publikationen
- Beyens, I., Pouwels, J. L., van Driel, I. I., Keijsers, L., & Valkenburg, P. M. (2021). Social media use and adolescents’ well-being: Developing a typology of person-specific effect patterns. Communication Research. https://doi.org/10.1177/00936502211038196
- Braghieri, L., Levy, R., & Makarin, A. (2022). Social Media and Mental Health. American Economic Review, 112(11), 3660–3693. https://doi.org/10.1257/aer.20211218
- Dienlin, T., & Johannes, N. (2020). The impact of digital technology use on adolescent well-being. Dialogues in Clinical Neuroscience, 22(2), 135–142. https://doi.org/doi:10.31887/DCNS.2020.22.2/tdienlin
- Dienlin, T., Masur, P. K., & Trepte, S. (2017). Displacement or reinforcement? The reciprocity of FtF, IM, and SNS communication and their effects on loneliness and life satisfaction. Journal of Computer-Mediated Communication, 22(2), 71–87. https://doi.org/10.1111/jcc4.12183
- Marciano, L., Driver, C. C., Schulz, P. J., & Camerini, A.-L. (2022). Dynamics of adolescents’ smartphone use and well-being are positive but ephemeral. Scientific Reports, 12(1), 1316. https://doi.org/10.1038/s41598-022-05291-y
- Meier, A., & Reinecke, L. (2020). Computer-mediated communication, social media, and mental health: A conceptual and empirical meta-review. Communication Research, 009365022095822. https://doi.org/10.1177/0093650220958224
- Orben, A., Dienlin, T., & Przybylski, A. K. (2019). Social media’s enduring effect on adolescent life satisfaction. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 116(21), 10226–10228. https://doi.org/10.1073/pnas.1902058116