Wie beeinflusst Gendern von journalistischen Artikeln die Textwahrnehmung und Aktivierung von Stereotypen? Diskriminiert Gendern? Und reduziert Gendern den Lesefluss? Frederieke Cirksena und Dominik Leiner untersuchten diese Frage in einem großen Online-Experiment – nun veröffentlicht in der Zeitschrift Studies in Communication and Media.
Welche Effekte hat Gendern?
Das Gendern hat von Texten soll die beabsichtigte Wirkung haben, beide Geschlechter sichtbarer zu machen. Cirksena und Leiner: “Werden weibliche und männliche Vertreter sozialer Gruppen explizit benannt, so führt dies zu einem stärkeren gedanklichen Einbezug von Frauen (Blake et al., 2008; Blake & Klimmt, 2010; Sczesny & Stahlberg, 2001, 2005).”
Es könnte aber auch ungewünschte Effekte hervorrufen. Beispielsweise, dass die Betonung von Geschlecht Stereotype triggert und damit Diskriminierung fördert – wie es beispielsweise in diesem Artikel der FAZ vermutet wird.
Um dies herauszufinden, wurden in der Studie zwei journalistische Texte zur App-Entwicklung und Kinderbetreuung mit drei verschiedenen Sprachvarianten verglichen. Ein Text war geschrieben im generischem Maskulinum (Betreuer), einer in Paarform (Betreuerinnen und Betreuer) und einer mit Gender-Sternchen (Betreuer*innen).
Diskriminiert Gendern?
Was war nun also das Ergebnis der Studie? Das Gendern von Texten führte nicht zu einer Verstärkung von Geschlechterstereotypen. Ebenso wurden alle drei Bedingungen hinsichtlich Lesefluss und Textästhetik ähnlich bewertet. Kurzum: Ingesamt hatte das Gendern in dieser Studie keine nennenswerten Effekte. Gendern führte nicht zu mehr Diskriminerung. Gendern hatte auch keinen Effekt auf Lesefluss.
Jede Studie hat Limitationen. Folgende sind mir hier aufgefallen: Es handelt sich um eine hochgebildete Stichprobe, die dem Gendern insgesamt aufgeschlossen ist (79% gaben an, bereits gegendert zu haben). Die Generalisierbarkeit ist aufgrund von zwei Anwendungsbeispielen reduziert – es kann in anderen Kontexten und bei anderen Themen anders wahrgenommen werden. Die Studie ist nicht präregistriert – was bedeutet, dass das analytische Vorgehen nicht vor Datensammlung festgelegt wurde. Gerade bei hypothesengetrieben Experimental-Designs ist das aber sinnvoll.
Stärken der Studien sind beispielsweise die große Stichprobe. Es hätten selbst kleine Effekte zuverlässig gefunden werden können, die Ergebnisse sollten also recht robust sein. Die Dokumentation der Ergebnisse sowie Daten ist vorbildlich und das methodische Vorgehen plausibel und nachvollziehbar. Ebenso ist die Fragestellung sehr aktuell und interessant.
In Kommentaren auf Twitter wurde kritisiert, dass in der Studie selbst gegendert wird. Ich denke, dass eine eigene Positionierung hier schwer zu vermeiden ist: Auch die Verwendung des generischen Maskulinums wäre angesichts der Forschungsfrage ein Statement gewesen. Wie sagte Watzlawick doch gleich: Man kann nicht nicht kommunizieren.